In der Nähe des Untersulzbachfalles liegt der Schitthof (so sagen die Neukirchner zum Schiedhof), eines der größeren Bauerngüter im Oberpinzgau. Die dazugehörige Alm lag früher im Wildgerlostal. Sie wurde vor langer Zeit an einen Zillertaler Bauern verkauft, jetzt ist sie teilweise im Durchlaßboden-Stausee verschwunden. Den Abschluss des Tales bilden die Gipfel der Reichenspitz-Gruppe.
Es war einmal, vielleicht vor drei- oder vierhundert Jahren, da war der Schitthofer hoch verschuldet. Er wußte nicht, wie er seine Schulden bezahlen sollte. Verkaufen wollte er den Hof auf keinen Fall. Und so ging er, es war schon spät im Jahr, auf seine Alm in der „Wilden Gerlos“ (Wildgerlostal), vielleicht fiel ihm dort eine Lösung ein. Als er die Hüttentür aufmachen wollte, bemerkte er, dass der Riegel schon weggeschoben war. Verwundert trat er in die Vorhütte: Da hockten ein paar bärtige Männer rund um das offene Feuer auf der Esse und wärmten sich. „Das müssen die Reichenspitz-Mander sein“, dachte sich der Bauer und setzte sich still auf die Holzbank neben dem Rührkübel. Nach einer Weile brachen die Männer das Schweigen: „Wir wissen von deinen Sorgen und wir könnten dir helfen. Geh mit uns auf die Reichenspitze!“
Gerne nahm der verschuldete Bauer diese Einladung an. Als reicher Mann kehrte er in die Sulzau (Neukirchen) zurück und er konnte alle seine Schulden begleichen. Die Leute munkelten damals, der Schitthofer habe seinen Reichtum vom Gipfel der Reichenspitze, von den „Mandern“, die dort oben über alles wachen sollen ... Aber für welchen Preis?
Der Bauer lebte noch lange. Aber als er dann fühlte, dass nun der Tod nahe war, äußerte er einen seltsamen Wunsch: „Auf dem Totenbett zieht ihr mir das warme Lodengewand an, die genagelten Schuhe und die Wickelgamaschen. Und Fäustlinge und unter dem Hut die wollerne Haube!“ Einige Tage später verstarb der alte Schitthofer und die Angehörigen erfüllten ihm seinen letzten Wunsch.
Zur selben Zeit wanderten zwei Viehhändler aus dem Zillertal über die „Pinzgauer Höhe“ (Gerlospass), wo sie dem Schitthofbauern begegneten. Durch den Viehhandel kannten sie ihn gut und sie sprachen ihn an: „Griaß di, Schitthofer!“ Mia send auf'm Weg zu dir.“ Doch der Bauer sagte kein Wort, er ging mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei. Die zwei Händler wunderten sich auch über die Winterkleidung, denn es war ein heißer Sommertag.
Am Tag darauf kamen die Tiroler in die Sulzau, um beim Schitthofer Vieh zu kaufen. Ihr Erstaunen war groß, als sie den alten Bauern im Lodengewand, mit den Bergschuhen und der warmen Haube auf der Totenbahre sahen. Genauso war er doch angezogen, als sie ihm am Vortag auf der Pinzgauer Höhe begegnet waren ...
Zutragungs- und Entstehungsort dieser Sage:
Neukirchen am Großvenediger, Oberpinzgau/Salzburg
Text entnommen aus „Sagen aus Neukirchen“
2000 © Salzburger Nationalparkfonds, Gerlosstraße 18, 2. OG, 5730 Mittersill