Nationalpark Hohe Tauern

Mythenreich:
Das Geheimnis vom Schödersee


Eine Sage aus der Nationalparkgemeinde Hüttschlag

„Das Geheimnis vom Schödersee“

Wenn man vom Talschluss in Hüttschlag in Richtung Süden wandert, kommt man in das urige Schödertal mit einer prachtvollen Landschaft, Urlandschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Riesige Felsblöcke behindern und versperren teilweise den Weg. Am Ende dieses Tales liegt ein weiter Kessel mit dem Schödersee, der nur einen Teil des Jahres mit Wasser gefüllt ist, oft aber gänzlich austrocknet. Von zwei Seiten stürzen und donnern Wasser über mächtige Steilstufen in das Schöderbecken und verschwinden in der Tiefe. Aus früherer Zeit werden geheimnisvolle und sagenhafte Dinge rund um diesen See überliefert und erzählt.

 

Unter dem Boden des Sees hausen die ekelhaften Schödermännchen. Das sind gnomenhafte Berg- und Wassergeister, die stets Böses im Sinne haben und durch allerlei teuflische Zaubereien den Wasserspiegel des Schödersees verändern können. Wenn man in die Tiefe horcht, hört man ihre gurgelnden Schreie und ihr tosendes Lachen. Sie sind auch im Gefolge des Wilden Jägers gesehen worden und durch unterirdische Wasserläufe kommen sie zur Geisterstunde in den versumpften Talschluss in den See, um dort ihr Unwesen zu treiben.

Früher führte vom Großarltal über das Schödertal und weiter über die Arlscharte hinunter ins kärntnerische Maltatal ein Saumpfad, auf dem man mit Hilfe von Pferden Waren in den Süden brachte, beim Rückweg führte man vor allem Wein. Die Menschen, die diesen anstrengenden Weg auf sich nahmen, nannte man Säumer. Vor langer, langer Zeit, so wird berichtet, war eine Säumergruppe auf dem Rückweg und hatte köstlichen Wein aus Friaul und Glas aus Venedig geladen.

Es war am späten Nachmittag. Die Säumer waren gerade über den steilen Kolmgraben herabgestiegen und erreichten die ausgetrocknete Schöderlacke. Dort lagerten sie, um den ermüdeten Pferden die verdiente Rast zu gönnen. Die Saumpferde wurden entladen und die kostbare Last wurde etwas abseits gestapelt.

Plötzlich hörte man aus der Tiefe ein Brausen und Zischen, ein Sausen und Rumpeln, ein Poltern und Toben und eine Unmenge Wasser quoll aus der Tiefe und von den Seiten und das Becken füllte sich mit rasender Geschwindigkeit und wurde zum riesigen See. Die Säumer und die Pferde konnten sich nur mit letzter Kraft an das nordseitige Ufer retten. Die Weinfässer und die Kisten mit den Gläsern schwammen und schaukelten auf der Wasseroberfläche. Aufeinmal tauchten aus dem tiefen Grund die Schödermännchen auf und zogen mit ihren spindeldürren, spinnenbeinähnlichen Händen die Fässer und Kisten in die Tiefe. Höhnisches Gelächter tönte zu den Säumern ans Ufer. So schnell wie das Wasser gekommen, floß es auch wieder ab und hatte der Spuk ein Ende, nur aus einer Steinspalte hörte man das Gegröle, die Schödermännchen waren beim Zechgelage.

Besonders arg trieben sie ihr nächtliches Geisterwerk in der Umgebung des Seebauern am Eingang des Schödertal. In der Nacht molken sie die Kühe leer und schütteten die Milch in die Ache, dass diese ganz weiß durchs Tal floss. Den Schafen schütteten sie Pech in die wertvolle Wolle und den Hühnern drehten sie den Kragen um. Fuhr der Bauer im Frühsommer auf die Schöderalm, so füllten sie den See und machten die Weide unbrauchbar. Den Bauer selber hätten sie mit einem Wasserschwall bald zu Tode gebracht.

Man hat diese Männchen schon lange nicht mehr gesehen, doch sie müssen noch immer im Schödertal hausen, denn der See füllt sich noch immer und rinnt wieder unterirdisch ab. Doch die Zeiten haben sich geändert, es gibt schon lange keine Säumer mehr, die Schöderalpe ist abgekommen und der Seebauer verfallen.

Der Fluch, der auf den Schödermännchen lastet, treibt sie zu ihrem ewigen Handeln, Wasser aufstauen und wieder ablassen bis zum Ende der Zeiten. Und so wird auch der Schödersee im immerwiederkehrenden Wechsel seinen Wasserspiegel verändern. Gefährlich ist das Lagern im ausgetrockneten Seebett noch immer, man denke nur, wie es den Säumern ergangen ist.

 

 

Zutragungs- und Entstehungsort dieser Sage: 
Hüttschlag/Keeskogel, Pongau/Salzburg

Text entnommen aus „Gletschergoaß und Kupfergeist“
© by Peter Pabinger, 1993



Geschrieben von
Sarah Moser

21.03.2023