Ende Juli stand der Nationalpark Hohe Tauern drei Tage lang wieder ganz im Zeichen der Artenvielfalt. Das Maltatal in der Nationalpark-Gemeinde Malta/Kärnten wurde hinsichtlich seiner Artenvielfalt von 62 engagierten, ehrenamtlichen Expertinnen und Experten, welche seit 16 Jahren unentgeltlich und mit großem Eifer zu der Erhebung beitragen, auf den Kopf gestellt.
Positive Bilanz
Trotz der widrigen Wetterbindungen am Alpenhauptkamm – mit Windböen, zahlreichen Regenschauern, Kälte aber auch Sonnenfenstern inklusive Regenbogen - waren die Forscher:innen engagiert und motiviert v.a. im Groß- und Kleinelendtal, Gößgraben und in den Tallagen der Gemeinde Malta unterwegs.
Ein Forschungsteam aus Sachsen nützte die etwas bessere Witterung von Freitag auf Samstag und baute rund um die Osnabrücker Hütte auf über 2.000 m Seehöhe Leuchttürme und Lichtfallen für Schmetterlinge sowie Netze für die Fledermäuse auf. Marko Eigner berichtete von den nächtlichen Erhebungen: „Der Regen macht den Tieren anscheinend wenig aus, die Fledermäuse haben rund um die Leuchttürme Schmetterlinge gejagt.“ Ihre Mühen wurden belohnt, es konnten drei Nordfledermäuse – zwei Männchen und ein Weibchen – sowie drei männliche Zweifarbfledermäuse nachgewiesen werden.
Bild: Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus). Von dieser Art sind zwei männliche Individuen aus der Hütte ausgeflogen. Ursprüngliche Quartiere sind Felsspalten, jedoch nutzt die Art auch gern Spaltenquartiere an Gebäuden. Bildautorin: Schulze Caroline
Auffällig war auch das Auftreten von zahlreichen Windenschwärmern. Das sind Wanderfalter, die ausgehend vom Mittelmeerraum und von Nordafrika über die Alpen nach Nordeuropa ziehen. Die Falter wandern meistens zwischen Juli und Mitte August aus dem Mittelmeerraum ein, wobei einige Alpenpässe bevorzugte „Transitrouten“ sind. Vor allem bei Schlechtwettereinbrüchen locken künstliche Lichtquellen um alpine Schutzhütten manchmal innerhalb weniger Stunden dutzende Windenschwärmer an, ein wahrlich imposantes und gespenstisch anmutendes Schauspiel.
Bild: In der Lichtfalle und am Leuchtturm bei der Osnabrücker Hütte wurden insgesamt 8 Individuen des Windenschwärmers gefangen. Die Art lebt eigentlich im Mittelmeerraum und wandert nach Norden über die Alpen Bildautorin: Schulze Caroline
Pilze fühlen sich bekanntlich bei Regenwetter sehr wohl. Der Pilzforscher Gerhard Koller konnte mit seinem Kollegen zahlreiche Pilze finden. Darunter befindet sich eine für die Alpen sehr typische Pilzart, die in Gemeinschaft mit Zirben lebt. Der Beringte Zirbenröhrling wurde entlang der Malta Hochalmstraße aufgespürt. Diesen Pilz kennzeichnen ein beringter Stiel, die Stielbasis ist rosafarben und die Hutoberfläche hat eine gelbe Grundfarbe mit braunen Sprenkeln. Diese Hochgebirgsart ist zwar grundsätzlich häufig aber trotzdem gefährdet, da sie nur in Verbindung mit Zirben wachsen kann.
Bild: Der Beringte Zirbenröhrling ist ein typischer Hochgebirgspilz der nur in Symbiose mit Zirben leben kann. Bildautorin: Aichhorn Katharina
Erfassungsapp für Jedermann:frau
Erhob man bis vor einigen Jahren die Daten noch mittels Listen und musste diese dann erst im Nachhinein in eine Datenbank füttern, so gibt es nun mit Overservation.org eine seriöse europaweite von Fachleuten anerkannte Naturbeobachtungsplattform. Expertinnen und Experten können damit vor Ort direkt im Gelände mittels Smartphone die Daten erfassen. Dies erleichtert und beschleunigt die Arbeit ungemein. Mit dieser App können alle, die botanisch oder faunistisch versiert sind, Funde einmelden. Diese werden von Fachleuten validiert und somit kann Jede:r einen wertvollen Beitrag zur Erfassung der Artenvielfalt leisten. Die Ergebnisse der Erhebungen können dadurch auch gleich live mitverfolgt werden: https://observation.org/bioblitz/npht-tage-der-artenvielfalt-2022/.
So sind aktuell bereits mehr als 2.500 Beobachtungen zu über 860 Arten von 30 Expert:innen digital über die App punktgenau erfasst: u. a. über 500 Pflanzen-, 120 Schmetterlings-, 60 Pilz-, 50 Vogel-, 18 Heuschrecken-, 15 Käferarten.
Biodiversitäts-Report – Wie viele Arten gibt es in den Hohen Tauern?
Weltweit gibt es mindestens 9 Millionen Arten, in Österreich sind es mehr als 80.000 Arten. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung gab der neue Direktor des Hauses der Natur, Robert Lindner, die Antwort auf die Frage „Wie viele Arten kommen in den Hohen Tauern vor?“: „Das Salzburger Haus der Natur und den Nationalpark Hohe Tauern verbindet seit vielen Jahren eine enge Partnerschaft. Ein Ergebnis dieser Partnerschaft ist die seit 20 Jahren gemeinsam geführte Biodiversitätsdatenbank des Nationalparks Hohe Tauern. Sie umfasst heute mehr als eine halbe Million Datensätze und liefert somit wertvolles Wissen zum Vorkommen von rund 11.000 Pilz-, Tier-, Pflanzenarten.“, fasst Lindner zusammen. Dieses Wissen über die Biodiversität, nicht nur in der Region der Hohen Tauern sondern auch österreichweit, basiert auf dem jahrzehntelangen Engagement vieler Citizen Scientists. Die Datenbank ist ein wichtiger Baustein zur Verfügbarmachung biodiversitätsrelevanter Daten für die Managementebene des Nationalparks Hohe Tauern sowie auch für sonstige Forschungseinrichtungen und die breite Öffentlichkeit. Die Datensätze werden für das GBIF Netzwerk (www.gbif.org) und über den österreichischen Biodiversitätsatlas (biodiversityatlas.at) öffentlich zugänglich gemacht. Die Auswertungen liegen nun erstmals auch als Bericht vor (Link download: http://www.parcs.at/npht/mmd_fullentry.php?docu_id=50402 ) und liefern einerseits ein umfassendes Bild der enormen Biodiversität der Hohen Tauern und andererseits die fachliche Grundlage für die Entwicklung neuer Ideen zur Vervollständigung dieses Bildes.
Gruppenbild TAV 2022. Bildautor: Lackner Markus
Auch der 16. Tag der Artenvielfalt im Nationalpark Hohe Tauern war dem Wetter zum Trotz wieder ein großer Erfolg. Die Forscher:innen haben mit ihrer Ausdauer und Motivation und ihren jahrelangen Erfahrungen eindrücklich gezeigt, das Freilanderhebungen nicht nur bei besten Bedingungen eine positive Bilanz aufweisen können. Die neue Nationalparkdirektorin von Kärnten, Barbara Pucker, zeigt sich sehr beeindruckt: „Viele Teilnehmende kommen in ihrer Freizeit, um stundenlang zu schauen, was im Gelände kreucht und fleucht. Auch bei Wind, Kälte und Regenwetter wird auf dem nassen Boden Ausschau nach Pflanzen, Pilzen und Tieren gehalten. Allen Forscher:innen gebührt dafür Hochachtung und Dank für dieses Engagement. Die Ergebnisse dieser Erhebungen sind ein wertvoller Input für die Biodiversitätsdatenbank und das Management des Nationalparks. Bezüglich Artenvielfalt wird es weltweit immer enger. Schutzgebiete und vor allem auch Nationalparks werden immer mehr Refugien für viele Arten.“ Das Wissen um die Biodiversität sind ein wesentlicher Teil, um die Artenvielfalt im Nationalpark auch in Zukunft bestmöglich zu schützen und erhalten zu können. Die Tage der Artenvielfalt leisten seit 2007 einen beträchtlichen Beitrag dazu, 11 % der Daten in der Biodiversitätsdatenbank stammen aus diesen Schwerpunkterhebungen.